Kommentare

Das ist selbst mir zu paradox!

In der Frankfurter Allgemeinen wurde mein Buch „Mythos Bildung“ rezensiert (25.4.). Seitdem mache ich mir Sorgen – um die Frankfurter Allgemeine. Wie soll ich die Skurrilität auf den Punkt bringen? Ein Verriss in der FAZ hat ja in bestimmten Milieus reputationssteigernde Wirkung, insbesondere wenn es um Bildung geht. Von daher kann man sagen: Alles nach Drehbuch. Es gibt nur ein Problem: Ich bin in fast jedem Punkt einer Meinung mit der Rezensentin. Wie kann das sein? Die Rezensentin hat das Buch nicht gelesen. Und das in der FAZ. Ich mache mir Sorgen – um die FAZ.

Wen es interessiert – hier Satz für Satz kommentiert:
Rezension FAZ 25.04.2020
FAZ: „In der Gemeinschaftsschule sieht er ein Heilmittel dagegen [gemeint: Benachteiligung].“

Falsch. In MB mache ich ziemlich deutlich, dass man das Gymnasium nicht abschaffen kann – und zwar aus verschiedenen Gründen, u.a. weil damit Ungleichheitsprobleme nicht gelöst würden. Und ich mache deutlich, dass nicht die Zeit ab der 5. Klasse, sondern bis zur 4. Klasse von entscheidender Bedeutung ist.

FAZ: „Außen vor bleibt in seiner Sozialkritik, dass nicht jede Realschulempfehlung Ausdruck sozialer Benachteiligung ist, sondern mit unterschiedlichen Fähigkeiten der Schüler zusammenhängt – die wiederum nicht bloß das Ergebnis ihrer Sozialisation sind.“

Falsch, das bleibt natürlich nicht außen vor. Im Gegenteil: Ich begründe an mehreren Stellen, dass die Übergangsempfehlungen der Grundschullehrkräfte verbindlich sein sollten. Aber dafür müsste man mehr als das Vorwort lesen.

FAZ: „Es gibt unverkennbar eine soziale Schere; und trotzdem ist das deutsche Bildungssystem ausgesprochen durchlässig und ermöglicht einen Bildungsaufstieg auch dann, wenn man aus unteren Schichten kommt.“

Richtig. In mindestens 3 Kapiteln geht es um Bildungsaufstieg – eins heißt sogar so.

FAZ: „Soziale Gleichheit bedeutet ja nicht, dass alle gleich gut sein müssen.“

Richtig. Ein Kapitel heißt: „Chancengleichheit ist nicht Gleichmacherei“. Das Kapitel beginnt so: „Der Begriff Chancengleichheit meint nicht, dass alle das Gleiche machen oder gar gleichgemacht werden“

FAZ: „Wie es um die Benachteiligung der Leistungsstarken steht, etwa wenn sie jahrelang in der Gemeinschaftsschule ausharren müssen, Lernschwächeren helfen sollen, selbst aber nicht gefordert und gefördert werden, erfährt man von El-Mafaalani nicht.“

Oh je. Ich schreibe an einigen Stellen über Begabungsförderung und sogar über Exzellenzförderung…

FAZ: „Stattdessen hat der Autor eine Vorliebe für den von der Bildungsforschung bis zum Ermüden gebrauchten Begriff „Kompetenz“, der hier wie dort mit Inhaltsleere einhergeht. Die Auflösung des Bildungsmythos befördert das sicher nicht.“

Sprachlos. Neben den Kompetenzbegriff setze ich 2 andere Bildungsbegriffe. Zeige Stärken und Schwächen all dieser Zugänge auf – und ich kritisiere sogar, dass der Kompetenzbegriff blind für soziale Benachteiligung ist. Hätte die Rezensentin ins Buch geschaut, hätte sie womöglich noch was gelernt, womöglich auch, wie man den Kompetenzbegriff kritisieren kann, ohne Inhaltsleere zu unterstellen.

Ich mache mir Sorgen. Und zwar nicht, weil ich weitgehend einer Meinung mit einer Journalistin der FAZ bin, sondern weil sie es nicht weiß. Daher mein Tipp: Lesen hilft!

(von Aladin El-Mafaalani, ursprünglich erschienen auf facebook)

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